Eine lustige Gaunergeschichte von Paul Bliß..
in: „Providencer Anzeiger” vom 17.02.1900
Franz Schlichthof war ein wohlhabender Mann von einigen dreißig Jahren, er war Junggeselle, lebte von seiner Rente, und um seinem Dasein einen Inhalt zu geben, war er Mitglied und Vorstand von verschiedenen Vereinen, die eine allgemeine Wohlfahrtspflege auf ihr Programm gesetzt hatten; in seiner Eigenschaft als Vorstand eines solchen neubegrü:ndeten Vereins hatte er kü:rzlich vor einer großen Versammlung von einigen Hundert Personen gesprochen, die Ziele des neuen Vereins auf's beste klargelegt und hatte sich begeistert dafü:r ausgesprochen, daß das Loos der ärmeren Klasse entschieden ein erbärmliches sei, und daß man allen armen Leuten helfend beispringen mü:sse. Natü:rlich wurde diese Rede, die so viel Schönes versprach, mit jubelndem Beifall aufgenommen, so daß sich Herr Franz Schlichthof, der neue Volksbeglü:cker, zufrieden und geschmeichelt von hundert Unbekanten beglü:ckwü:nschen ließ und nach Hause ging mit hochgeschellter Brust in dem Bewußtsein. eine gute That vollbracht zu haben. Das war gestern Abend gewesen. Und heute frü:h nun stand er am Fenster, sah sinnend hinaus auf den herbstlichen Morgen und freute sich noch immer seines großen Erfolges von gestern Abend.
Plötzlich gewahrte er einen jungen Menschen, der drü:ben am Fluß langsam auf- und abging; er war ärmlich aber sauber gekleidet, und sein Gesicht sprach eine deutliche Sprache von Hunger und Noth.
Der arme Kerl, dachte Franz, man mü:ßte ihm helfen! Und eben wollte er das Fenster öffnen, um dem Unglü:cklichen zuzurufen, daß er hereinkommen möge, als er vor Schreck und Entsetzen fast starr wurde, denn der junge Mann schwang sich soeben ü:ber das Geländer der Brü:cke und stü:rzte sich in den Fluß.
Franz war außer sich, daß so etwas vor seinen Augen passiren konnte. Zitternd lief er auf die Straße und suchte nach dem Rettungskahn.
Draußen hatten sich inzwischen schon Menschen angesammelt, und auch hier bei den Rettungswerkzeugen war man schon beschäftigt, aber noch Niemand hatte dem Unglü:cklichen helfend beispringen können.
Diesem aber schien inzwischen die Lust zum sterben vergangen zu sein, denn er schwamm, suchte sich ü:ber Wasser zu halten und schrie jämmerlich um Hilfe.
Als Franz mit dem Rettungskahn ihm entgegen kam, klammerte er sich daran fest und zwei Sekunden später war er gerettet.
„Nach meiner Wohnung,” rief Franz den beiden Männern zu, die den Ohnmächtigen an's Land trugen.
Fü:nf Minuten später lag der Selbstmordkandidat im Wohnzimmer des Herrn Franz Schlichthof warm gebettet auf der Chaiselongue und ein Arzt mü:hte sich erfogreich, den Halbtodten wieder in's Leben zurü:ckzurufen.
Franz stand dabei und ließ keinen Blick von seinem Geretteten; dieser arme Kerl interessirte ihn jetzt, und er nahm sich vor, dem Aermsten zu helfen, so daß er wieder ein glü:cklicher und zufriedener Mensch werden sollte.
Nach Verlauf einer Viertelstunde schlug der junge Mann die Augen auf. Ein dankerfü:llter Blick traf seinen Retter, so daß es dem glü:cklichen Franz ganz warm um's Herz wurde.
„Geben Sie ihm ein Glas Portwein,” sagte der Arzt.
Sofort brachte Franz eine Flasche und fü:llte ein Glas fü:r seinen Patienten, das dieser mit langsamen Zü:gen leerte.
Dann erhob sich der Arzt vom Lager und sprach zu Franz: „Es ist keine Gefahr mehr da, aber lassen Sie ihn nur noch ein paar Stunden liegen, denn er scheint sehr entkräftet zu sein; später geben Sie ihm dann etwas Stärkendes zu essen und zu trinken, dann wird er morgen frü:h wieder wohlauf sein.” Darauf empfahl er sich.
Als Franz bei seinem Kranken saß, schlug dieser die Augen auf, reichte seine Hand hin und sagte mit matter Stimme: „Ich danke Ihnen, Herr Schlichthof.”
Jetzt war Franz maßlos erstaunt. „Sie kennen mich?” fragte er.
Der Andere nickte. „Gestern im Verein habe ich Sie sprechen hören.”
„Ja, weshalb sind Sie denn nicht zu mir gekommen? Weshalb springen Sie denn in's Wasser? Ich hätte Ihnen doch gern geholfen.”
„Weil ich mich genirte,” antwortete leise der Andere.
Mitleidig und gerü:hrt schü:ttelte Franz dem armen Kerl die Hand. „Ihnen soll geholfen werden, aber nun regen Sie sich nicht auf, denn es thut Ihnen Ruhe noth. Also schlafen Sie ein paar Stunden, dann werden Sie mit mir essen, und dann werden wir alles Weitere besprechen.” Er stand auf, legte seinem Kranken die Kopfkissen glatt und bequem, zog ihm die Bettdecke bis an den Hals hinauf, so daß er dicht zugedeckt war, und ging dann leise in's Nebenzimmer.
In seinem Zimmer ging er auf und ab mit dem Lächeln eines glü:cklichen Menschen, der mit sich zufrieden ist.
Im Laufe des Vormittags kamen dann seine Freunde, ihn zum Frü:hschoppen abzuholen. Er aber ging nicht mit, er blieb daheim, um fü:r seinen Kranken zu sorgen.
Seine Freunde belächelten ihn, als sie das ganze Abenteuer erfuhren, und einer meinte: „Glaubst Du denn, daß Dir alle Deine Wohlthaten jemals gedankt werden?”
Er aber antwortete: „Ich will gar keinen Dank, es ist mir genug, wenn ich mit mir zufrieden bin und das Gefü:hl habe, eine gute That vollbracht zu haben.”
Kopfschü:ttelnd verließen ihn die Freunde, und er blieb allein bei seinem Kranken.
So verging der Vormittag. Als die Zeit zum Mittagessen da war, ging er wieder hinein zu seinem Schü:tzling.
Der war jetzt so weit gekräftigt, daß er aufstehen konnte. Franz brachte ihm einige von seinen eigenen Kleidungsstü:cken, die auch ganz leidlich paßten, und so hatte er ihn bald so leidlich ausstaffirt, daß er sich mit ihm sehen lassen konnte.
Eine Viertelstunde später saßen sie bei Tisch, und Franz bediente seinen Schü:tzling, als sei er ihm ein lieber Gast.
Und während des Essens, dem der Fremde tapfer zusprach, bekam Franz nun die Geschichte seines Schü:tzlings zu hören. Eine Geschichte, wie sie sich alltäglich in der Großstadt ereignet: Ein junger Mensch ohne Eltern und Angehörige, der durch Krankheit seine Stelle verloren hatte, der nun keine Arbeit wieder finden kann und tagelang subsistenzlos und ohne Nahrung herum läuft, bis er sich zu dem letzten verzweifelten Schritt entschließt.
Schaudernd hörte Franz die Erzählung mit an, da Herz that ihm weh! so bedazerte er den armen Menschen. Und nun stand es fest bei ihm, daß er diesem Bedauernswerthen eine Zukunft sichern wü:rde.
Nach Tisch that Franz sein gewohntes Schläfchen, in dem ihn Niemand stören durfte. Und auch sein Zögling sollte noch ein wenig ruhen.
Zufrieden und behaglich dehnte sich der glü:ckliche Lebensretter auf seinem Ruhebette, dachte noch einmal darü:ber nach, auf welche Weise er die Zukunft seines Schü:tzlings sicher stellen konnte und entschlummerte dann sanft und traumlos.
Als er ach einer Stunde erwachte, galt sein erster Gang seinem Schü:tzlinge, aber siehe da, der junge Mann war nicht mehr in seinem Zimmer. Erstaunt rief Franz seine Wirthschafterin und seinen Diener, aber Niemand wußte Auskunft zu geben.
Jetzt wurde er unruhig. Mein Gott, dachte er, wenn er vielleicht noch einmal in's Wasser gegangen wäre! — Und er machte sich nun Vorwurf ü:ber Vorwurf, daß er den Aermsten so ohne Aufsicht gelassen hatte.
Plötzlich aber sah er nach seinem Schreibtisch. Und er erstarrte! Was war denn das? Das Mittelfach war erbrochen.
Zitternd ging er hin und untersuchte das Nähere. Und er fand nun, daß nicht nur alles Geld, sondern auch die Brillanten und Goldsachen fort waren.
Statt dessen fand er einen beschriebenen zettel, auf dem er die Worte las: „Ich danke Ihnen fü:r Ihre gastfreundschaft. Man lebt recht gut bei Ihnen! Sie merken nun wohl, daß Sie das Opfer eines intelligenten Menschen geworden sind. Mein beruf erfordert Verstand. Mit dem gewöhnlichen Verbrecher habe ich nichts zu schaffen. Ich gebe mich nie mit Kleinigkeiten ab. In meinen Kreisen nennt man mich den „Genie-Karl”. Dieser mein neuester Trick beweist ihnen, daß ich diesen Namen nicht zu Unrecht fü:hre. Es steht Ihnen nun ja frei, die Sache der Polizei anzuzeigen. Aber was erreichen Sie damit? Finden wird mich unsere Polizei ja doch nicht.
Also weshalb wollen Sie mir mein Geschäft stören! Ueberdies ersparen Sie sich die Fatalität der Lächerlichkeit, — denn auslachen wird man doch nur Sie, wenn die ganze Geschichte bekannt wird! Als Schwamm darü:ber. Sie sind ja reich genug, um sich den Sport der Wohlthätigkeit leisten zu können. Noch einmal meinen besten Dank fü:r die freundliche Bewirthung!”
Als Franz diese Zeilen las, mußte er unwillkü:rlich lächeln; ganz im Geheimen aber war ihm bitter weh zu Muth, sein Glauben an die Menschheit gerieth in's Wanken.
Natürlich hat er keinem seiner Freunde den wahren Sachverhalt erzählt, denn er liebte es nicht, sich lächerlich zu machen, — aber auch dem Sport des Wohlthuns huldigt er nicht mehr so eifrig wie frü:her — er ist ein Skeptiker geworden!
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